Ob Wochenende oder nicht, hier finden Sie immer die Stimmung eines entspannten Samstagnachmittags. Endlich Zeit für Dinge, für die sonst keine Zeit bleibt: Besuche bei Kunstschaffenden, Schriftsteller*innen und Musiker*innen, Literatur zum Lesen und Hören, DVDs und Blu-rays, Mode und Design, neue CDs vom Klassikmarkt. Das gibt es alles hier zum Nachhören, wann immer Sie möchten. Zur ARD Audiothek: https://www.ardaudiothek.de/sendung/swr2-am-samstagnachmittag/10001581/
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1 CR085: Driving change in public services with data and AI with Craig Suckling, UK Government 1:02:15
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1:02:15There is huge potential for the leverage of data (and AI) to provide the most modern Citizen digital experiences, but that has to be balanced with managing deep legacy challenges and, of course, security risk. In a special episode this week, Dave and Rob talk to Craig Suckling, UK Government Chief Data Officer about modern public services, the challenges and opportunities in unleashing data in a safe and secure way, how AI fits into all of this and how Governments can lead the way in secure and ethical AI implementation. TLDR: 01:56 The Chief Software Officer?! 05:40 Cloud conversation with Craig Suckling 57:55 Christmas with the kids and Lego! Guest: Craig Suckling: https://www.linkedin.com/in/craigsuckling/ Hosts: Dave Chapman: https://www.linkedin.com/in/chapmandr/ Rob Kernahan: https://www.linkedin.com/in/rob-kernahan/ Guest host Sandeep Kumar: https://www.linkedin.com/in/sandeepkumar99/ Production: Marcel van der Burg: https://www.linkedin.com/in/marcel-vd-burg/ Dave Chapman: https://www.linkedin.com/in/chapmandr/ Sound: Ben Corbett: https://www.linkedin.com/in/ben-corbett-3b6a11135/ Louis Corbett: https://www.linkedin.com/in/louis-corbett-087250264/ ' Cloud Realities' is an original podcast from Capgemini…
lesenswert Quartett mit Büchern von Behzad Karim Khani, Ljuba Arnautović, Clemens J. Setz und Gian Marco Griffi
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Literaturexperte Denis Scheck moderiert die Gesprächsrunde mit Ijoma Mangold, Kulturkorrespondent der Wochenzeitung DIE ZEIT. Diesmal vervollständigen das Quartett die Schriftstellerin Nele Pollatschek und die Kulturjounalistin und Autorin Shelly Kupferberg.
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1213 bölüm
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×Wer sich fleißig durch die letzten Jahrhunderte Literaturgeschichte bewegt, wird einer Spezies von Autoren eher selten begegnen: den weiblichen. Nicht dass schreibende Frauen gänzlich inexistent gewesen wären. Nur fanden sie selten Eingang in den Kanon. Erst in der jüngsten Vergangenheit werden längst vergessene Autorinnen häufiger in ein helles Licht gerückt, gewürdigt durch Neuveröffentlichungen oder erstmalige Übersetzungen. Die Friedenauer Presse hat uns im Frühjahr mit Maria Messina bekannt gemacht, einer 1887 in Palermo geborenen Erzählerin, die auch in Italien vergessen war, bis ihr sizilianischer Landsmann Leonardo Sciascia in den frühen Achtzigern auf sie aufmerksam machte. Nun folgt nach „Das Haus in der Gasse“ ihr 1923 erstmals erschienener Roman „Un fiore che non fiorì“ , in dem eine junge, zunächst eigensinnig wirkende Frau doch ganz klassisch die Liebe sucht, an den bürgerlichen Konventionen ihrer Zeit verzweifelt und an der Unerfülltheit ihrer Leidenschaft buchstäblich zugrunde geht. Ein Buch, zwei Übersetzungen Das Besondere: Es liegen nun gleich zwei Übersetzungen des Romans vor. Christiane Pöhlmanns bei der Friedenauer Presse vorgelegte Übersetzung heißt „Eine Blume ohne Blüte“; jene von Leopold Federmair bei PalmArtPress „Eine Blume, die nicht blühte“. Der eine Titel nimmt sich eine größere poetische Freiheit; der andere hält sich an die ursprüngliche Relativsatz-Konstruktion. Auch der erste Satz des Buches hat in den deutschen Versionen zwei Varianten: Stefano reichte es! Quelle: Maria Messina – Eine Blume ohne Blüte So bei Christiane Pöhlmann. Bei Leopold Federmair lautet er hingegen: Stefano war sehr verärgert! Quelle: Maria Messina – Eine Blume, die nicht blühte Kreuzdämliche Romantiker Was sich hier schon andeutet, zieht sich durch das Buch: Pöhlmanns Übersetzung ist spielerischer, entfernt sich zwar nicht vom Original, aber interpretiert es freier und ausdrucksvoller. Federmair bleibt näher am Text, wirkt aber zugleich auch ein bisschen braver. Es ließen sich viele Stellen finden, die das belegen, nur zwei seien zitiert. Pöhlmann: Nun allerdings trottete er mit dem Kopf voran, als trüge er seine Gedanken huckepack. Und bei Federmair: Er ging mit nach vorne gerecktem Kopf, als trüge er die Gedanken auf seiner Schulter. Pöhlmann: Und die Bewunderer im Klub oder beim Tennis – die um keinen Preis als »kreuzdämliche Romantiker« abgestempelt werden wollten – stellten sich mit ihr in einer Weise auf freundschaftlichen Fuß, als wäre sie ein junger Mann. Federmair: (…) die Bewunderer vom Club und vom Tennis wiederum behandelten sie – um nicht als „dümmliche Romantiker“ zu gelten – auf saloppe Art und Weise, ganz so, als wäre sie ein junger Mann. Konventionen hinter sich lassen Beide Übersetzungen sind gelungen – wenngleich jene von Pöhlmann der Geschichte der für ihre Zeit ziemlich emanzipierten Franca gerechter zu werden scheint, ihre Keckheit und ihre Regelverstöße stärker in der Sprache zum Klingen bringt. Aus der Perspektive von Franca ist der Roman zum allergrößten Teil erzählt: Sie wächst bei ihrer Tante in einer Kleinstadt bei Florenz auf, ihr Vater lässt ihr gehörige Freiheiten – allerdings nur bis zu einer gewissen Grenze der Schicklichkeit. Mit ihren Freundinnen bildet sie eine verschworene Gemeinschaft; zumindest so lange nicht der Ernst des Lebens droht. Der bedeutete auch in den 1920er Jahren: heiraten, Kinder kriegen, einem Mann treu ergeben sein – genau die faschistische Ideologie, die in der Entstehungszeit des Romans die Gesellschaft prägte. Franca sträubt sich einerseits dagegen – und wird zugleich von der Liebe zum Sizilianer Stefano in einen Strudel von Begehren und Zweifel gerissen. Dieser Stefano allerdings scheint einer Welt verhaftet, die sie eigentlich hinter sich lassen will. Dass Messina ihrer Heldin zwar Eigensinn zugesteht, sie aber dann doch auf gewisse Weise zum Opfer überkommener Vorstellungen macht, mag man bedauern. Aber auch das ist ein Statement: Messina beschreibt einen Kampf um ein selbstbestimmtes Leben, der noch ganz am Anfang stand. Von diesen Anfängen heute sogar in zwei Übersetzungen einer fast vergessenen Autorin lesen zu können, zeigt: Der feministische Kampf ist zumindest in Teilen erfolgreich weitergegangen.…
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SWR Kultur lesenswert - Literatur
Am Berliner Max-Delbrück-Centrum arbeitet der US-Amerikaner Russ Hodge, der seit 35 Jahren in Deutschland lebt, als Kommunikationstrainer und Wissenschaftsjournalist. Nach einer Konferenz 2019 über besondere Tiere in der Forschung beschloss er, ein Buch zu schreiben. Er hatte so viele interessante Wissenschaftler getroffen, die über so phantastische Tiere wie Nacktmulle, Nachtigallen oder Axolotl arbeiten, dass ihm all die Geschichten nicht mehr aus dem Kopf gingen. Das Ergebnis ist ein großformatiges, farbenprächtiges Kompendium voller Lebenskünstler – Menschen und Tieren. Gleich das erste Kapitel ist kleinen, schrumpeligen Gesellen gewidmet: Nacktmullen. Leben in einer ausgeklügelten Sozialstruktur: Nacktmulle Die wenigen auf ihrer rosa Haut verteilten Haare dienen als Stimmgabeln, um Vibrationen aufzufangen, wenn sie durch die dunklen Gänge unter der äthiopischen Erde flitzen. In vielerlei Hinsicht faszinierende Wesen. Russ Hodge sagt: „Sie haben ihre eigene Sprache, sie können ohne Sauerstoff leben, sie kriegen nie Krebs, das ist ein Tier, das 36, 37 Jahre lebt, jedes Tier ist eine Welt für sich, ist eine Art Community von Eigenschaften, die zusammenarbeiten, um zu überleben in Harmonie mit ihrer Umwelt.“ So wie bereits seit 350 Millionen Jahren der Axolotl aus Mexiko. Übersetzt „Wassermonster“ heißt der überaus friedliebende weiße Schwanzlurch mit dem rosa Kranz aus Kiemenästen um seinen Kopf, dessen Körperteile wieder nachwachsen, wenn sie verletzt oder abgerissen werden. Die meisten Axolotl leben weltweit in Forschungslaboren, wo sie gezüchtet werden, weil sie für die Regenerationsmedizin von großem Interesse sind. In Freiheit in ihrer Heimat nahe Mexiko-City hingegen kommen sie nur noch sehr selten vor. Ausgestattet mit erstaunlichen musikalischen Fähigkeiten: Nachtigallen Eine andere Hauptstadt allerdings bietet beste Bedingungen für eine weitere sehr besondere Spezies: Nachtigallen. Mehr als 3000 fühlen sich in Berlin wohl und lassen die 2500 öffentlichen Parks der Stadt mit ihrem sommerlichen nächtlichen Gesang zu Freiluftkonzertsälen werden. Bis zu 200 Strophen kann das Lied einer Nachtigall umfassen. Oder sie überrascht mit ganz anderen musikalischen Fähigkeiten. Russ Hodge ließ sich darüber von der Künstlerin Ines, einer der vielen Nachtigallbegeisterten, erzählen und beschreibt es in seinem Buch: „Als sie eines Tages auf dem Weg nach Hause war, hörte sie aus einer Hecke eine Nachtigall singen. Sie sang etwas, und Ines antwortete ihr. ‚Ich brachte ihr eine Zeile aus einer Nachtigallenarie von Händel bei‘, erzählt sie. ‚Am Ende sang sie die Zeile besser als ich. Sie hatte Händel verbessert‘.“ Neben all den interessanten Fakten und Anekdoten über die Tiere gerät Russ Hodge nie die große Gefahr aus dem Blick, die für all diese Lebenskünstler besteht – von Grizzlybär über Eisfisch bis Schleiereule oder Bärtierchen. Der Autor sagt: „Die sind alle perfekt angepasst, aber dafür hatten sie Millionen von Jahren Zeit. Da wir diese Prozesse von Klimaentwicklung so beschleunigt haben, werden sie nicht mehr die Zeit haben, diesen natürlichen Prozess von Anpassung hinzukriegen.“ Phantasievolle Bildtafeln für Augen, Herz und Hirn So berichtet Russ Hodge nicht nur viel Wissenswertes von besonderen Tieren und den Forschern, die sie in Laboren züchten und erforschen oder in freier Wildbahn aufspüren. Er zeigt auch, wie fragil ihre, unsere Welt ist. Ungemein bereichert wird der Fundus an Fakten durch die farbenfrohen Illustrationen von Kat Menschik. Sie hat sich an Dioramen von Naturkundemuseen orientiert und große, phantasievolle Bildtafeln geschaffen, auf denen in türkisblauem Wasser ein Axolotl neben einer bunten mexikanischen Totenmaske schwimmt. Oder über der rosa Nacktmulletruppe in ihrem dunklen unterirdischen Gang zwei afrikanische Frauen in bunten Kleidern unter orangefarbenem Himmel auf eine Neubausiedlung am Rande der Wüste blicken. Ein im wahrsten Wortsinne bildschön gestaltetes Buch für Augen, Herz und Hirn.…
Zu den Stoffen von Science-Fiction-Filmen gehört, dass die Menschen nicht nur von fremden Wesen angegriffen werden, sondern auch von ihren eigenen Geschöpfen. Meistens sind es Roboter, Replikanten oder Cyborgs, die nach der Weltherrschaft greifen. Aber manchmal geht die Revolution auch von ganz alltäglichen Maschinen aus. Dann verhalten sich die Küchengeräte nicht, wie sie sollen, und werden mit einem Mal bedrohlich. Die Revolution der Maschinen Die meisten dieser Szenarien mögen abwegig sein, aber die Angst dahinter ist es nicht. Mit der intelligenten Technik, die unser Leben zunehmend durchdringt, steigt auch das Risiko eines Kontrollverlusts. Denn in Zukunft werden uns die technischen Geräte immer häufiger Entscheidungen abnehmen. Sie werden besser Autofahren können als wir, klüger mit unserem Geld umgehen und vielleicht sogar die beständigeren Freunde sein. Obwohl wir zurzeit eine Revolution mit Ansage erleben, sind wir auf unsere eigene Zukunft schlecht vorbereitet. Aus diesem Grund hat der Philosoph Christian Uhle einen Ratgeber für das Zusammenleben von Menschen und Maschinen vorgelegt. In seinem Buch „Künstliche Intelligenz und echtes Leben“ analysiert er die Verheißungen der neuen Technik und geht der Frage nach, wie wir ein realistisches Verhältnis zu ihnen finden können: Ob privat oder am Arbeitsplatz – dank autonomer Staubsauger, digitaler Tools und smarter Helferlein gewinnen wir angeblich mehr Zeit für Freundinnen oder Kunden. Das klingt gut. Aber ist es auch realistisch? Werden diese Versprechen eingelöst? Werden wir in zehn Jahren dank KI, automatisierter Produktion und neuer Services effizient, fokussiert und entspannt durch den Tag schweben? Quelle: Christian Uhle – Künstliche Intelligenz und echtes Leben Die künstlichen Gefühle Mit wenigen philosophischen Handgriffen erklärt Uhle, warum diese Annahme naiv ist. In einer modernen Welt wie der unsrigen wird jede gesparte Zeit sofort wieder in neue Unternehmungen investiert. Längst haben uns die Errungenschaften der Technik auf den endlosen Pfad ständiger Verbesserungen getrieben. Davon abzuweichen, ist gar nicht so einfach. Oft meinen wir, selbst in unserer Freizeit effizient sein zu müssen. Sorgsam geht Uhle unser alltägliches Leben durch, entlang der Sehnsüchte nach Geborgenheit und Glück. Die Technik ist nicht nur weit effizienter als wir Menschen, sie hat sich auch bereits als eine bessere Managerin unserer eigenen Gefühle erwiesen. Algorithmen suchen uns die passenden Partner aus, ahnen unsere Stimmungstiefs lange vor uns selbst und reden mit uns, wenn sich alle anderen bereits abgewendet haben: In der absehbaren Zukunft werden viele Menschen einen eigenen digitalen Assistenten nutzen, der sie vom Moment des Aufstehens bis zum Schlafengehen durch den Tag begleitet, der immer für sie da ist, der alles weiß und der ihnen das Gefühl gibt, verstanden zu werden und niemals mehr allein zu sein. Quelle: Christian Uhle – Künstliche Intelligenz und echtes Leben Das zweite Leben Viele werden diese neue Welt künstlicher Gefühle vielleicht abstoßend finden. Aber schon bald wird sie uns vertraut sein. Neben unserem geläufigen Leben werden wir noch ein zweites Leben führen, zusammen mit den Maschinen um uns, die zunehmend an Eigenständigkeit gewinnen. Die Leitlinien, die Uhle zum Umgang mit ihnen entworfen hat, sind ein Plädoyer dafür, sich rechtzeitig mit diesem zweiten Leben zu beschäftigen: Gesellschaften haben sich schon immer verändert, aber jetzt erleben wir nicht lediglich eine Veränderung in unseren Gesellschaften, sondern eine Veränderung darin, was eine Gesellschaft überhaupt ist. Es ist nicht mehr etwas, das lediglich zwischen Menschen passiert und an dem Menschen teilhaben. Quelle: Christian Uhle – Künstliche Intelligenz und echtes Leben Uhle wendet sich mit seinem Buch bewusst an ein Publikum, das sich bislang noch nicht mit Fragen der Künstlichen Intelligenz beschäftigt hat. Sein Ratgeber für das Maschinenzeitalter ist zugleich eine gut verständliche Einführung in die logischen Grundlagen der neuen Anwendungen, denen wir bereits überall in unserem Alltag begegnen. Aber es ist vor allem eine gelungene Befragung unserer Erwartungen an eine bessere Zukunft.…
Seine ersten Eindrücke von Nachkriegsdeutschland sammelte Carlo Levi in München, wo er mit einer vorweihnachtlich geschmückten Lufthansa-Maschine aus Rom gelandet war. Sein Hauptinteresse galt der Kunst, der Architektur, den noch immer von Bombenschäden gezeichneten Stadtbildern und vor allem den Menschen. „Es gibt keine Monster“, flüsterte ihm ein junger Franzose beim Bier zu. Tatsächlich erkannte Levi in den Straßenpassanten vorwiegend „leutselige, einfache, wohlhabende“ Bürger, denen ihre Vergangenheit als Untertanen einer bösartigen Diktatur nicht mehr anzusehen war. Er fragte sich: Wo in diesem selbstzufriedenen Bildungsbürgertum verstecken sich die Ungeheuer? Vielleicht bräuchte es gar nicht viel, sie wieder zu entdecken. Oder entsprachen diese Farblosigkeit und Niedergeschlagenheit ohne jegliche Grandezza auch damals schon der Wahrheit? Quelle: Carlo Levi – Die doppelte Nacht Deutschland versteckt sich Anders als frühere Deutschlandbesucher registrierte Levi weder deutsches Selbstmitleid noch Schuldabwehr und Verdrängung. Stattdessen beobachtete er eine „hohle Stille aus Fragen und Erschütterung“. In ihrer beklemmendsten Form begegnete ihm diese Atmosphäre bei einem spontanen Besuch im KZ Dachau, wo die tyrannische Grausamkeit der Nazizeit nun durch das Elend der dort einquartierten Vertriebenen überdeckt wurde. Aus solchen Eindrücken zog Levi die Schlussfolgerung: „Deutschland versteckt sich“. Streifzüge durch Bierkeller und Museen In seinem kenntnisreichen Nachwort zu dem Reisebuch, dessen Titel „Die doppelte Nacht“ auf Goethes Faust anspielt, betont der Historiker Bernd Roeck, dass Levi über seine Beobachtungen mit dem Blick des Malers, der er auch war, berichtet hat. Insofern passen die dunklen Schattierungen der winterlichen Szenerien, die der Autor oft zu eindringlichen Tableaus ausmalt, symbolisch sehr gut zu der zwiespältigen Verfassung, die er bei den Deutschen feststellte. In einem essayistischen Vorwort umkreist Levi die deutschen Befindlichkeiten mit etlichen klugen, mehr oder weniger geläufigen Erklärungsversuchen. Viel anschaulicher und weniger spekulativ fallen jedoch seine anekdotischen Wahrnehmungen aus, bei denen er sich primär auf unmittelbare Erlebnisse stützte. Über die intellektuellen Debatten im Lande hingegen ließ er praktisch nichts verlauten. Lieber tauchte er mit offenem Ohr und wachen Sinnen ein ins Nachtleben der Kneipen und Bierkeller. Dort widmete er dem Volksmund ebenso viel Aufmerksamkeit wie den Alten Meistern in den Museen. Den Höhepunkt der Reise bildete nach Augsburg, Tübingen oder Stuttgart, die vor allem kunsthistorisch in Erinnerung blieben, der Aufenthalt in Berlin. Dort begegnete der Reisende dem Zwielicht deutscher Schattenwelten und den Existenzfragen des geteilten Landes in geballter Form. Eine Stadt, zwei Welten Viele Male pendelte er zwischen West und Ost, zwischen Kudamm und Stalinallee, Stripteasebars und Pergamonaltar hin und her. Diese halbierten Welten beäugen einander finster, sie stehen einander wie zwei Vertreter unterschiedlicher Zivilisationen gegenüber. Und doch sind sie aus demselben Holz geschnitzt. Quelle: Carlo Levi – Die doppelte Nacht Carlo Levi zeigt sich hier als ein ebenso guter Beobachter wie inspirierter Denker. Seine Ausführungen wirken nach wie vor lebendig und anregend. Darum ist die Deutschlandreise, die sich mit seinem Buch „Die doppelte Nacht“ nachvollziehen lässt, auch von heute aus gesehen nicht viel weniger spannend als damals.…
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SWR Kultur lesenswert - Literatur
1 lesenswert Quartett mit Büchern von Behzad Karim Khani, Ljuba Arnautović, Clemens J. Setz und Gian Marco Griffi 56:05
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56:05Literaturexperte Denis Scheck moderiert die Gesprächsrunde mit Ijoma Mangold, Kulturkorrespondent der Wochenzeitung DIE ZEIT. Diesmal vervollständigen das Quartett die Schriftstellerin Nele Pollatschek und die Kulturjounalistin und Autorin Shelly Kupferberg.
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Die zentrale These klingt zunächst einmal gewagt: Wien habe den „Grundstein für einen Großteil der geistigen und kulturellen Produktion der westlichen Welt im 20. Jahrhundert gelegt“, behaupt Richard Cockett in seinem Buch „Stadt der Ideen. Als Wien die moderne Welt erfand.“ Hinreichend bekannt ist die Geschichte der Donaumetropole im „Goldenen Zeitalter“ des Liberalismus, das Wien von Freud, Klimt, Mahler und vielen anderen mit ihren bahnbrechenden intellektuellen und kreativen Leistungen. Weniger bekannt, und darauf legt der Historiker und „Economist“-Journalist Cockett seinen analytischen Schwerpunkt, ist das Wien nach dem Ersten Weltkrieg. Zu dieser Zeit wurde Wien von Sozialdemokraten regiert und diese versuchten die Ideen des Goldenen Zeitalters anzuwenden. Es ging um die Verbesserung der Lebensumstände und letzten Endes darum, einen „neuen Menschen“ zu erschaffen, wie sie es nannten. Quelle: Richard Cockett Weiterführen der Ideen aus dem „Goldenen Zeitalter“ Wiens Als ein Beispiel unter vielen nennt Cockett die Verwendung von Erkenntnissen aus der Psychoanalyse im „Roten Wien“. Da ging es nicht mehr nur um sehr reiche Patienten, die sich von Freud ihre Träume deuten ließen. Die Sozialdemokraten nahmen die Grundideen von Freud und verwandelten sie in Mittel für Sexualerziehung, Gesundheitserziehung, für all das, was man heute psychische Gesundheit nennen würde. Quelle: Richard Cockett Jüdische Impulse für die liberale Moderne Träger des liberalen und des Roten Wien waren sehr häufig assimilierte Jüdinnen und Juden, die in Wien seit den Zeiten Franz Josephs ein tolerantes und multikulturelles Klima vorgefunden hatten. Diese Welt wurde bereits vor dem Ersten Weltkrieg von illiberalen Tendenzen bedroht, die sich in Wien stärker zeigten als anderswo. Der Wiener Bürgermeister Karl Lueger, Antisemit und Populist der ersten Stunde, wurde so etwa zum Lehrmeister des jungen Kunststudenten Adolf Hitler. Zweifellos war der Erfolg der assimilierten Wiener Juden ein Schlag ins Gesicht für Hitler und seinesgleichen. Ein Frontalangriff auf ihre nationalistischen, großdeutschen Überzeugungen und ihre Blut-und-Boden-Ideologie. Quelle: Richard Cockett Die vom Logischen Empirismus geprägte geistige Landschaft Wiens, die unter anderem die moderne Küche oder die erste Studie über Langzeitarbeitslosigkeit hervorbrachte, wurde in den 1930er-Jahren von den Austrofaschisten und später von den Nazis zugrunde gerichtet. Aber jene ihrer Protagonisten, die rechtzeitig aus Österreich fliehen konnten, trugen ihre Ideen und Methoden in die Länder, die sie aufnahmen. Die USA profitierten von der Wiener Einwanderung Insbesondere die USA profitierten auf zahlreichen Gebieten von der Wiener Einwanderung. Billy Wilder, Fred Zinnemann und Otto Preminger stellten das konservative Hollywood auf den Kopf. Der Architekt Victor Gruen erfand das Einkaufszentrum, weil er sich in der versprengten US-amerikanischen Einkaufslandschaft nicht zurechtfand. Und eine Gruppe von liberalen Denkern, darunter Karl Popper, lieferte in Form von Büchern die wichtigste ideologische Munition im beginnenden Kalten Krieg. Ich denke, der Grund dafür, weshalb sie so wichtig wurden und weshalb ihre Arbeiten vor allem in Großbritannien und den USA rezipiert wurden, ist, dass sie Faschismus, Kommunismus und Totalitarismus viel früher und aus nächster Nähe erlebt hatten. Nämlich im Wien der 20er- und 30er-Jahre. Quelle: Richard Cockett Es ist ein ungewohnter, britisch-liberaler Blick, den Cockett auf dieses Stück österreichische Geschichte wirft. Seine originelle und kenntnisreiche Darstellung lässt das erstaunlich lebendige Erbe einer gewaltsam ausgelöschten Welt schillernd zutage treten.…
Der Schicksalsschlag traf Ada D’Adamo völlig unvorbereitet. Als sie im November 2007 ihre Tochter Daria zur Welt brachte, ahnte sie zunächst nichts Schlimmes. Schließlich hatte sie vorher alle nötigen Schwangerschafts-Untersuchungen gemacht – immer ohne Auffälligkeit. Dann aber hielt D’Adamo nach der Geburt ein Baby im Arm, bei dem „HPE“ festgestellt wurde: der abgekürzte Fachterminus für eine schwere Hirnschädigung. Entsprechend schnell stand fest: D’Adamos Tochter Daria würde niemals laufen können, niemals sprechen, niemals gerade sitzen und nie klar konturiert sehen. Eine Leben ohne Hoffnung auf Selbständigkeit Sie würde zeitlebens ein Mensch bleiben, der auf fremde Hilfe angewiesen sein würde. Und damit ein Kind, das D’Adamo bei entsprechendem Vorbefund nicht geboren hätte, wie sie offenherzig zugibt: Ich liebe meine wundervolle, unperfekte Tochter. (…) Doch hätte ich damals die Wahl gehabt, ich hätte mich für einen Schwangerschaftsabbruch aus medizinischen Gründen entschieden. Quelle: Ada D’Adamo – Brief an mein Kind Schlimme Diagnose nach der Geburt Schon das Schicksal, ungeplant Mutter einer hochgradig beeinträchtigten Tochter zu werden, ist schwer erträglich. Umso erschütternder liest es sich, dass die Autorin einige Jahre später auch noch eine weitere fatale Diagnose hinnehmen muss: Diesmal die Diagnose, an fortgeschrittenem Brustkrebs erkrankt zu sein. „Brief an mein Kind“ ist somit der ergreifende Lebensbericht einer erfolgreichen, talentierten, emanzipierten Frau, die 2007 plötzlich ohne Vorwarnung in einen Unglücksstrudel gerät, scheinbar völlig grund- und schuldlos: Warum gerade ich? Man sucht nach einem konkreten Grund, weil man nicht hinnehmen kann, das Opfer eines simplen Zufalls zu sein. Quelle: Ada D’Adamo – Brief an mein Kind Als Mutter einer schwer behinderten Tochter machte D’Adamo dann die bittere Erfahrung, schlagartig zu einem „Menschen zweiter Klasse“ degradiert zu werden, wie sie schreibt. Zu einem sozialen Paria, der – genauso wie ihre Tochter Daria – von der tonangebenden Mehrheit der Gesunden im Alltag ständig übersehen, ausgegrenzt und manchmal sogar öffentlich beleidigt wird. Im Gegensatz zu vielen anderen Opferberichten aber verblüfft an D’Adamos Mutterbeichte deren so gar nicht wütend-anklagender und unjammeriger, unpathetischer Tonfall. Ganz offensichtlich ging es der Autorin mit ihrem letzten Buch nicht darum, eine Abrechnung mit unserer oft ungerechten, unsolidarischen Leistungsgesellschaft vorzulegen. Eine Unglücksbilanz ohne Wut und Bitterkeit Stattdessen erzählt D’Adamo in ihrem Abschiedsbrief an die Tochter vor allem von ihrer eigenen inneren Wandlung. Also davon, wie sie als ehemalige Tänzerin und Perfektionistin langsam gelernt hat, die täglichen Demütigungen an Darias Seite mit einem gewissen Gleichmut zu ertragen: Das ist keine Resignation, eher so etwas wie aktive Akzeptanz. Man hört auf, „dagegen“ zu kämpfen. Man konzentriert sich darauf, „für“ etwas zu kämpfen. Quelle: Ada D’Adamo – Brief an mein Kind Es ist dieser nicht mehr hadernde, nachsichtige und angenehm unaufgeregte Blick auf die eigene Tragödie, der D’Adamos Überlebensbericht so außergewöhnlich macht. Zwar äußert sie darin auch immer wieder durchaus scharfe Kritik an unserer, auf Profitmaximierung ausgerichteten Lebensweise, derentwegen wir heute oft so unfähig sind, angemessen auf Versehrtheit und Tod zu reagieren. Die Autorin gesteht aber auch eigene Fehler im Umgang mit Daria ein. Und: Sie verpackt ihre Klage insgesamt so freundschaftlich in die Du-Ansprache, dass ihr nichts Rachsüchtiges, Selbstmitleidiges oder Didaktisches anhaftet. Auf diese Weise wird D‘Adamos Brief letztlich zu einem ermunternden Aufruf an uns alle. Dafür, sich den Wert jeden Lebens bewusst zu machen, so schwierig, herausfordernd oder unperfekt es einem mitunter auch erscheinen mag.…
„Freie Fahrt für freie Bürger!“ Mit diesem Slogan machte der ADAC im Februar 1974 gegen ein Tempolimit auf Deutschlands Autobahnen mobil. „Freie Fahrt für freie Bürger!“ Das ist nicht die Art von Freiheit, die Timothy Snyder meint. Der Yale-Historiker argumentiert in seinem Buch gegen ein allzu primitives Verständnis von Freiheit, das Freiheit vor allem als Recht versteht, von Einschränkungen verschont zu bleiben. Wer sich weigert, bestimmte Limitierungen für sich gelten zu lassen, ist deshalb noch lange nicht frei, argumentiert Snyder. Der Historiker unterscheidet, wie einst der Philosoph Isaiah Berlin, „negative“ und „positive“ Freiheit voneinander: Negative Freiheit ist die Idee, dass ICH gegen die Welt antrete. Dass das einzige Problem die Welt ist. Dass es da draußen eine Barriere gibt, die ich überwinden oder niederreißen muss. Negative Freiheit ist eine „Freiheit VON“. Positive Freiheit, wie ich sie verstehe, ist eine „Freiheit ZU.“ Quelle: Timothy Snyder Die Freiheit der Wahl Wirklich frei, so Timothy Snyder, ist man erst, wenn man zwischen verschiedenen Optionen wählen kann – guten Optionen: And I deeply believe that it is the ability to choose among the good things. There are good things in the world, when we're in a condition or a state to choose among them, then we're free. Quelle: Timothy Snyder In den USA, so Timothy Snyder, hingen viele Menschen einem im Großen und Ganzen eher schlichten Verständnis von Freiheit an. Von libertärer und rechtspopulistischer Seite wird Freiheit ja vor allem als Freiheit definiert, seine Interessen unbehelligt von staatlichen oder sonstigen Reglementierungen durchzusetzen, ob es nun ums Waffentragen geht oder um die Freiheit, für die Wohlfahrt anderer, möglicherweise unterprivilegierter Menschen nicht aufkommen zu müssen. Jeder ist, diesem Verständnis von Freiheit nach, sich selbst der Nächste. Freiheit muss organisiert werden Dagegen könne sich „positive Freiheit“ nur in der empathischen, lebendigen Interaktion mit anderen verwirklichen, postuliert Timothy Snyder. Anknüpfend an Persönlichkeiten wie Vaclav Havel, Edith Stein, Simone Weil und Leszek Kolakowski – historische Bezugsgrößen, die ihm wichtig sind –, plädiert der Yale-Historiker dafür, Freiheit in demokratischer Übereinkunft gesellschaftlich zu organisieren. Wenn Sie ein negatives Freiheitsverständnis haben, werden Sie davon überzeugt sein, dass die Regierung ausschließlich Ihr Gegner ist. Sie werden die Regierung verkleinern, wenn Sie die Macht dazu haben, und die Regierung wird am Ende nicht mehr in der Lage sein, genau die Dinge zu tun, die sie tun müsste, um die Freiheit der Menschen zu gewährleisten. Quelle: Timothy Snyder Pragmatischer Optimismus Timothy Snyder hat ein tiefschürfendes und in vielerlei Hinsicht anregendes Buch geschrieben. Dass der Autor auf grämliches Moralisieren verzichtet und der „positiven Freiheit“, für die er plädiert, mit pragmatischem Optimismus zum Durchbruch verhelfen möchte, macht diesen Band – trotz des anspruchsvollen Themas – streckenweise zu einem vergnüglichen Leseerlebnis.…
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SWR Kultur lesenswert - Literatur
Seit rund 2000 Jahren wird die Geschichte der Menschheit auch erzählt als Geschichte des Sündenfalls: Gott verbietet Adam und Eva im Paradies, Früchte vom Baum der Erkenntnis zu pflücken. Die listige Schlange verführt Eva dazu, sich diesem Verbot zu widersetzen. Adam und Eva erlangen dadurch Erkenntnis, werden sich ihrer Nacktheit gewahr. Keine Verführung, sondern bewusste Entscheidung Sie werden dafür von Gott aus dem Paradies verstoßen, werden sterblich, und die Geburt ihrer Kinder ist von diesem Moment an durch einen Fluch Gottes mit großen Schmerzen für die Frau verbunden. Die Lyrikerin Daniela Seel wagt eine andere Interpretation dieser biblischen und für die Geschichte des Abendlandes so bedeutenden Urszene, begreift sie nicht als Verführung durch die Schlange, sondern als bewusste Entscheidung: Eva entscheidet sich. Für Erkenntnis und Lust. Für Mut. Die Konsequenzen nimmt sie in Kauf. Nehme ich Eva ernst, ist die Vertreibung aus dem Paradies nicht Rauswurf, sondern Auszug. Der Ausgang des Menschen in die Zeit. In Sterblichkeit. Quelle: Daniela Seel – Nach Eden Eva ernst nehmen Eva ernst nehmen und damit die ganz großen Fragen nach Schuld, Verantwortung, Erkenntnis noch einmal stellen, das geschieht in „nach eden“. Wäre das Leben im Paradies als Lebensraum denn wirklich so paradiesisch? Steckt nicht auch in ihm schon etwas Gewaltsames? Vom Garten ist es nicht weit zur Plantage mit ihrer Sklav:innenarbeit, Ausbeutung, Raub. Für und gegen wen will Garten Eden sein, Paradies – das sich herüberliest von awestisch pairi daēza, »Einhegung«, »umwallt«? Quelle: Daniela Seel – Nach Eden Daniela Seel blickt in ihren Gedichten auf Versuche, Unbegrenztes, Unbequemes und Unberechenbares einzuhegen, seien es Tiere und Pflanzen unbekannter Arten, seien es Frauen im Mittelalter, die als Hexen verbrannt wurden, seien es die Naturvölker, die Alexander von Humboldt auf seinen Reisen mit dem Blick der Kolonisators erforschte, seien es besonders bedürftige Kinder unter der nationalsozialistischen Terrorherrschaft, seien es spätgebärende Frauen, deren Schwangerschaften als Risiko betrachtet wird: Als meine Kinder geboren werden, bin ich 43 und 45 Jahre alt. Risikoschwangerschaften der Statistik nach. Aber auf welches Risiko wird hier gezielt? Bei der obligatorischen Frühdiagnostik frage ich den Arzt, ob sich durch gesündere ältere Mütter und höhere Lebenserwartung nichts geändert habe. Ohne aufzublicken, sagt er nein. Quelle: Daniela Seel – Nach Eden Gedichte über Schwangerschaft, Fehlgeburten und Feminismus So beginnt eines der Gedichte über Schwangerschaft, Fehlgeburten und den Umgang der Medizin, es endet mit den Versen: Die Befunde bleiben »unauffällig«. Hätte ich mich für Abtreibung entschieden, wenn nicht? Wäre ich dazu gedrängt worden und von wem, bei welchem Befund? Quelle: Daniela Seel – Nach Eden Daniela Seel greift Themen auf, die in der Geschichte des Feminismus seit jeher Gewicht haben. Doch sind es nicht nur die Themen, die ihre Gedichte so wirkungsvoll machen. Vor allem durch unterschiedliche Register, die hier gezogen werden, um verschiedene Stimmen zum Klingen zu bringen, entsteht eine große Intensität. Mal spricht ein Totengräber der Idsteiner Pflegeeinrichtung Kalmenhof, die zur Zeit des Nationalsozialismus Zwischenanstalt für das Tötungslager Hadamar war: was wollt ich machen, gell. Hätt ichs nicht gemacht, wärs auch mei eigens Leben gegange. Und dann, wo hätt ich auch hingewollt, ich hat ja mit die Außenwelt gar keinen Kontakt Quelle: Daniela Seel – Nach Eden Fragen aus Kindersicht Immer wieder stellt ein Kind seine Kinderfragen, spricht aus seiner Sicht und konterkariert grausame und gewaltsame Zusammenhänge, die andere Gedichte umkreisen: Mama, ich höre die Bäume. Ich höre die Bäume singen. Quelle: Daniela Seel – Nach Eden Aus dieser Vielstimmigkeit bei fortwährender Konzentration auf das lyrische Ausgangsmotto „Eva ernst nehmen“ liegt mit „nach eden“ ein Gedichtband vor, der bewegt, produktiv befremdet und einiges riskiert.…
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SWR Kultur lesenswert - Literatur
1 Clemens Setz – Das zehnte Gedicht. Rückblick auf ein dreiviertel Jahr Gedichte von Clemens Setz 6:46
Alle Dinge werden kleiner, wenn man sie zusammensetzt Bilder des Krieges in der Ukraine erreichen uns täglich, durch die Nachrichten oder durch Filmaufnahmen, die im Internet verbreitet werden. Clemens Setz berühren bizarre Videoclips mit Kriegsszenen und gleichzeitig faszinieren sie ihn auf erschreckende Weise. In einem Film sieht er einen Soldaten, auf den eine Drohne zufliegt . Die ist mit Sprengstoff und einer Kamera ausgestattet und filmt den Angriff, bevor sie explodiert und den Menschen tötet. In seinem Gedicht konzentriert sich Setz auf die Geste des Soldaten, der abwehrend den Regenschirm hochhebt, bevor er stirbt. Einige haben versucht mit ihr zu verhandeln durch improvisierte Gesten oder sich, schwer verletzt, zu ergeben bevor sie in sie flog Dann der eine, der plötzlich mitten im Rennen stehenblieb auf einem offenen Feld und uns bis kurz vorm Einschlag seine zwei Mittelfinger zeigte Alle Dinge werden kleiner wenn man sie zusammensetzt Als Poeta laureatus reflektiert Clemens Setz aktuelle Ereignisse und Begebenheiten, die er oft nicht genau einordnen kann. Die Form des Gedichts ermöglicht ihm, genau diese Verwirrung sichtbar zu machen. „Es ist ein hilfloses Gedicht. Das beschreibt aber auch sehr gut mein inneres Gefühl, ich bin innerlich vollkommen stumm dabei, ohne Erzählstimme. So, wie ich es erlebe, ist es mehr ein überfordernder Slapstick, und das Einzige, was dann kommt, sind private Assoziationen wie dieser total seltsame Satz über die Dinge, die kleiner werden, wenn man sie zusammensetzt.“ Clemens Setz findet in den Gedichten Worte und Bilder für diese Hilflosigkeit. Alle Dinge werden kleiner wenn man sie zusammensetzt sagte vor einem Vierteljahrhundert ein Kind zu mir während wir ihm den von Sturmwind verbogenen Schirm reparierten Feedbackkultur beim Dichten In den ersten beiden Gedichten nimmt Clemens Setz auf das aktuelle politische Geschehen im Ukrainekrieg und auf die Klimakatastrophe Bezug. Im dritten Gedicht geht es darum, wie aktuell ein Gedicht sein sollte oder darf – und wie er als Poeta Laureatus seine Probleme hat mit Kritik und Anregungen . Danke fürs Feedback, uns geht es sehr gut Die Bäume sind früh dran mit Blühen Ich werde den Link genau studieren und mich in Zukunft bemühen Der Tod der Frauen geschah tatsächlich zweitausend Jahre lang gleich mit unübersehbarer Ähnlichkeit der knienden Haltung der Frauenleichen in Gräbern der Jungsteinzeit Aber jetzt, nach den unvorhersehbar schweren Angriffen habt ihr wohl recht da nehm ich das raus Kaum hat Clemens Setz das Gedicht begonnen, nimmt er den Inhalt schon zurück. Die Schere im Kopf? Die Zurücknahme ist eine rhetorische Spielerei, denn die Zeilen bleiben bestehen, in denen er historische Hinrichtungen beschreibt. „Ich habe irgendwo auf CNN oder wo geschaut, was passiert in der Welt, und dann war da ein mich total fesselnder Bericht über eine 2000 Jahre lang gleich betriebene Art der brutalen Hinrichtungen. Wie kann das sein, 2000 Jahre, und immer sind es Frauenleichen, was ist da passiert?“ Den Hinweis auf die Hinrichtungen bekam Clemens Setz durch eine aktuelle Nachrichtensendung. Im weiteren Verlauf des Gedichts bezieht er sich auf die historische Figur Kaspar Hauser, der im 19. Jahrhundert als rätselhafter Findling auftauchte, der anscheinend vorher ohne jeden menschlichen Kontakt aufgewachensen war, seine Identität wurde nie geklärt, aber er hatte natürlich eine. Das hatte zu tun mit Kaspar Hauser Der säte seinen Namen aus Kresse in einem Nürnberger Garten bis Nachbarkatzen kamen und ihm den eigenen Namen zertraten ach armer Kaspar Hauser So schreibt er’s in einem Brief Diese Geschichte beruht auf einer wahren Gegebenheit, die Clemens Setz aufgrund ihrer Symbolkraft fasziniert. Er zeigt dabei mit ironischem Augenzwinkern, dass jeglicher Inhalt in eines seiner Gedichte einfließen kann. Auch formal variiert Setz die Gestalt seiner Texte und spielt mit vielen Mitteln. Oft sind seine lyrischen Texte nah an der Prosa, doch ab und zu verwendet er auch Reime. „Ich reime eigentlich viel lieber als nicht. Weil es künstlich ist: So spricht man ja nie. Das mag auch damit zu tun haben, dass mein Alltag unwahrscheinlich viel reicher an Reimen geworden ist, seit ich ein Kind habe, nämlich durch die ganzen Kinderlieder, die einem ja wirklich wunderbarste Reimkunststücke vorführen wie zum Beispiel „links sind Bäume, rechts sind Bäume, in der Mitte Zwischenräume“, aus dem Lied „Was müssen das für Berge sein“. Reime sind frech und generell tut mir Frechheit immer gut.“ Mit Goethe gegen Drohnen Frech und auch mutig erscheint es, wenn Clemens Setz sich in der Überschrift seines fünften Gedichts neben Johann Wolfgang von Goethe stellt. „Ein Gleiches“ nennt Setz seinen Text und lehnt ihn damit bewusst an das berühmte Goethe-Gedicht aus dem Jahr 1780 an, das den gleichen Titel trägt und mit den bekannten Worten anfängt: Über allen Wipfeln ist Ruh. Er will sich jedoch nicht anmaßen, im gleichen literarischen Rang wie Goethe zu stehen, er bezieht sich damit auf die Methode: Die Wahl und Variation seines Themas. In seinem Gedicht entwirft er die utopische Szene eines fiktiven fernen Zeitpunkts, an dem Menschen technisch veraltete Kriegsmaschinen wie gefährdete Tierarten im Zoo bestaunen. Damals nahm mich mein Vater jeden Sonntag mit in den Zoo um die alten Drohnen zu sehen Erst bei der Fütterung um vierzehn Uhr kam Leben in sie Der Pfleger betrat die Umhegung in Tarnfarbenjacke und schwarzen Stiefeln ein Gewehr aus Holz an seiner Hüfte Die Ausmaße dieser zerstörerischen Technik sind für Clemens Setz nicht abzuschätzen und deshalb hochgefährlich. Im Gedicht über die Kampfdrohnen im Zoo findet er als Lyriker eine Möglichkeit, die angsteinflößende Idee überhaupt zu ertragen, indem er sie als eine groteske liebevolle Begegnung inszeniert. „Es ist vielleicht der einzig mögliche Perspektivenwechsel, wenn man etwas Neues sieht, etwas total Entsetzliches anzuschauen als etwas Rührendes, Nostalgisches, mit persönlicher bittersüßer Poesie Aufgeladenes, das ist ja etwas, das man sonst nie tut. Mein Gefühl ist, dass wir nicht wissen, was wir gebären.“ Im Gedicht hat der Lyriker die Möglichkeit, die Figuren und Ereignisse mit Hilfe poetischer Bilder auf künstlerische Weise zu kommentieren und zu karikieren. Indem er zum Beispiel rechtspopulistische Hetzreden im Netz in einer absurd wirkenden märchenhaften Szenerie ansiedelt, distanziert er sich von ihnen. Er lässt ihre Verfasser auf diese Weise realitätsfern und naiv wie Märchenfiguren erscheinen. Die Antwort des Dichters auf Gewalt, Krieg und politische Willkür sind seine Gedichte. Allen voran die, die er in seinem Jahr als Poeta Laureatus schreibt.…
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1 lesenswert Magazin: Paradies und Zauberberg. Heldenreisen in Romanen und Gedichten. 55:03
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55:03Mit Büchern von Dante Alighieri, Thomas Mann, Heinz Strunk und Peter Kurzeck.
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1 Zauberberg-Wanderung: Norman Ohler – Der Zauberberg, die ganze Geschichte | Heinz Strunk – Zauberberg 2 | Gespräch 9:05
Mit seinem ersten Roman „Fleisch ist mein Gemüse“ erreichte der Autor Heinz Strunk schnell großen Erfolg. In „Zauberberg 2“ interpretiert er nun Thomas Manns Klassiker neu. Zwar sind die Schauplätze in Strunks Interpretation vergleichbar mit denen aus Thomas Manns Werk, doch kreiert Strunk eine ganz neue Geschichte rund um den „Erfolgsmenschen“ Jonas Heidbrink. Ein Buch voller Fun Facts Norman Ohlers „Der Zauberberg, die ganze Geschichte“ kann wie eine Ergänzung zu Thomas Manns „Zauberberg“ und Heinz Strunks „Zauberberg 2“ gelesen werden. Ohler erklärt zum Beispiel, wie Davos zum Kurort und zum Ort des Weltwirtschaftsforums wurde. Ein Buch voller „Fun Facts“, so Redakteur Alexander Wasner im Gespräch mit Literaturkritikerin Beate Tröger.…
Das Tagebuch einer Skaterin Ich bin Ari und dies ist die Geschichte meiner ersten Liebe. Sie geht nicht gut aus, das sag ich euch gleich. Also, wenn ihr auf Happy Ends steht, legt das hier lieber weg und geht euch ein Eis kaufen. Quelle: Eva Rottmann – Kurz vor dem Rand Gebrochenen Herzens beginnt die siebzehnjährige Skaterin Ari Tagebuch zu schreiben und erzählt rückblickend von den zwei Wochen ihrer ersten Liebe. Erwachsene Leser*innen erinnern sich zurück: in zwei Wochen kann viel passieren, wenn man jung ist. Jüngere wissen das selbst nur zu gut. Das Tagebuch hat sie von Vater Bob, der ihr Auffangnetz ist, während die stets abwesende Mutter Fanni eher ein Leben auf dem Drahtseil führt. Familienstatus: Es ist kompliziert. „Liebst du sie noch?“ fragte ich. Bob erwiderte meinen Blick, dann sah er aus dem Fenster. „Liebe“, sagte er, „Was heißt das? Will ich wieder mit Fanni zusammen sein? Nein, vielen Dank. Mache ich mir ständig Sorgen um sie und hoffe ich, dass es ihr gut geht? Ja, auf jeden Fall. Haben wir eine einfache Beziehung? Nein. Ist es Liebe? Ich glaube schon. Was für eine Art von Liebe? Keine Ahnung.“ „Hä?“ sagte ich und rührte einen Löffel Zucker in meinen Kaffee. „Wie meinst du das? Wieviele Arten von Liebe gibt es denn?“ Bob zuckte die Schultern. „Ich glaube, es gibt so viele, wie du willst“, sagte er. „Was du mit Yasin, Lou und Teddy hast, das ist doch auch Liebe, oder nicht?“ „Ja“, sagte ich. „Irgendwie schon.“ Quelle: Eva Rottmann – Kurz vor dem Rand Suchen nach Identität, erstes Begehren, Rollenklischees – alles ist hier sowohl präsent als auch gleichgültig. Dass es alles gibt und geben kann, Schubladen aber wirklich oldschool sind, ist selbstverständlich. Daher wird auch konsequent gegendert – Com‘on, es ist 2024. Damit muss man jetzt klarkommen. Die Erzählweise ist dicht und authentisch. Eva Rottmann schafft Nähe zur Normalität des jungen Mädchens und ihrer Freunde, die sich schon seit dem Kindergarten kennen. Bei kaum einer Familie reicht das Geld bis Monatsende, von Urlaub ist keine Rede, das schweißt zusammen. Bei Regen im Parkhaus, sonst auf der Halfpipe. Immer skaten, immer zusammen. Das sind unsere Sommer, das ist unser Leben. Mehr ist nicht los. Aber uns reicht das. Beziehungsweise, es muss uns reichen. Wir haben ja keine andere Wahl. „Na, dann Prost“, sagte Tom und hob seine Bierdose. „Da hab ich ja richtig Glück gehabt, dass meine Mutter hierherziehen wollte.“ Quelle: Eva Rottmann – Kurz vor dem Rand Beim Skaten hilft Basishass Tom. Der arrogante Neue, der gesponserte Skate-Profi fährt Ari voll in die Parade. Ari ist skeptisch. Aber in Tom steckt auch viel Wut. Basishass nennt Ari das und kennt das genau, Basishass ist sozusagen der Antrieb zum Skaten, wo das Denken in den Körper rutschen kann, der Kopf endlich Ruhe gibt. Ari und Tom brauchen und lieben diese gedankliche Schwerelosigkeit. Und Ari fühlt Toms Schmerz, der noch viel größer ist als ihrer, seit Tom seinen Vater durch Suizid verloren hat. Seit dem vergangenen Abend glaubte ich irgendwie nicht mehr an den coolsten Typen der Stadt. Der coolste Typ der Stadt war eine Pappkulisse, die im Sand lag und über die ein paar Heuballen wehten. Ich wusste noch nicht, was das bedeutete. Aber irgendwas bedeutete es auf jeden Fall. Quelle: Eva Rottmann – Kurz vor dem Rand Ari lernt, dass es Mut braucht zum Leben. Sei es, um im Morgengrauen auf dem Board den steilsten Berg der Stadt hinabzurasen, sei es, um Tom ihre Gefühle zu gestehen, sei es, um wieder aufzustehen, wenn man gefallen ist. Mit Hinfallen kennt sie sich zum Glück aus. „Hey Mädchen, ist alles in Ordnung bei dir?“ fragte sie. Unter Tränen guckte ich sie an und schüttelte den Kopf. Nee, bei mir war nichts mehr in Ordnung, gar nichts mehr. „Bist du umgefallen?“ fragte die Frau und zeigte auf mein Skateboard. „Tut es dir irgendwo weh?“ Ich nickte. Es tat mir überall weh, im ganzen Körper, vor allem in der Brust. Ich hatte nicht gewusst, dass es solche Schmerzen überhaupt gab. Wie konnte es sein, dass ein einziger Mensch einem so wehtun konnte? Quelle: Eva Rottmann – Kurz vor dem Rand Deutscher Jugendliteraturpreis für Eva Rottmann „Kurz vor dem Rand“ berührt viele, zum Teil schwere Themen für ein Jugendbuch, das dadurch – und das dürfte vielleicht der einzige Kritikpunkt sein – gelegentlich etwas konstruiert erscheinen mag. Aber dennoch hat Eva Rottmann einen beeindruckend authentischen Coming-of-Age-Roman geschrieben. Über wahre Freundschaft, erste Gefühle, gute und beschissene Eltern und über die Diversität von Geschlechtern und Rollen bzw. darüber, dass man diese vielleicht gar nicht braucht, weil man einfach nur als man selbst schon liebenswert ist. Aufwühlend, rasant, rau und zart zugleich und aus guten Grund auf der Frankfurter Buchmesse 2024 mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.…
Im Gespräch mit SWR Literaturchef Frank Hertweck spricht Redakteur Alexander Wasner über die 700 Jahre alte „Mutter aller Fantasyromane“ – Dante Alighieris „Die göttliche Komödie“. In drei Stufen ist diese voller Naturwissenschaften steckende Heldenreise zu unterteilen: Hölle, Läuterungsberg und Paradies. Frank Hertweck erklärt unter anderem, welche dieser Stufen am zugänglichsten ist.…
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Man benötigt für dieses Buch einen langen Atem. Denn Naomi Klein unternimmt eine tiefgreifende Analyse der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in der Welt. Ausführlich widmet sie sich zunächst einer feministischen Schwester im Geiste, Naomi Wolf. Unter der Corona-Pandemie radikalisierte sich Wolf, rückte immer tiefer ins Lager der Verschwörungstheoretiker, verkörperte fortan alles, wogegen Naomi Klein ein Leben lang gekämpft hat und wurde, das war das Bedrückendste für die Klimaaktivistin, in den digitalen Medien mit ihr verwechselt. Das Ich als perfektionierte Marke, das Ich als digitaler Avatar, das Ich als Datenmine, das Ich als idealisierter Körper, das Ich als rassistische und antisemitische Projektion, das Kind als Spiegel des Ichs, das Ich als ewiges Opfer. Diese Doubles haben eines gemein: Sie sind Strategien des Nichtsehens, des Vermeidens. Wir vermeiden es, uns selbst klar zu sehen (weil wir so sehr damit beschäftigt sind, eine idealisierte Version von uns zu präsentieren). Quelle: Naomi Klein – Doppelgänger Die Verdrängung der Gegenwart Aus dieser Spiegelung mit dem digitalen Phantom entwickelt Naomi Klein ihre tiefschürfende Analyse und weist auf blinde Flecken in der Geschichte und unsere beschränkten Blickwinkel auf Phänomene in der Gegenwart hin. „Eine Analyse der gestörten Gegenwart“, lautet der Untertitel. Wir wollen nicht, dass unsere Körper etwas mit dem massenhaften Artensterben zu tun haben. Wir wollen nicht, dass die Kleidungsstücke, in die wir unsere Körper hüllen, von anderen Körpern hergestellt werden, die erniedrigt, missbraucht und bis zur Erschöpfung ausgebeutet werden. Wir wollen keine Lebensmittel essen, die mit Erinnerungen an menschliches und nicht menschliches Leid belastet sind. Wir wollen nicht auf gestohlenem, von den Geistern der Vergangenheit heimgesuchtem Land leben. (…) Es ist unerträglich. Quelle: Naomi Klein – Doppelgänger Leugnungen in uns Schattengestalten, Doppel-Ichs, Selbstverleugnung, Verschwörungstheorien allerorten – und die Verdrehungen durch die rasenden digitalen Medien kommen hinzu. Es finde eine „Neuordnung der Politik“ statt, schreibt Naomi Klein und sieht darin „eine der wichtigsten Hinterlassenschaften von Covid“. „Schattenzonen“ sind entstanden. Missbrauch gedeiht in den Schattenzonen, weil er dort gedeihen kann. Und das muss mit Hilfe einer Verschwörung vertuscht werden, um nicht nur die Täter zu schützen, sondern auch uns als Konsumenten, die wir uns unsererseits miteinander verschwören, um unwissend und unschuldig durch die besser beleuchteten Bereiche der Versorgungskette schlendern zu können. Quelle: Naomi Klein – Doppelgänger „Eine Welt, die in Flammen steht“ Als säkulare Jüdin nimmt Naomi Klein schließlich die Kriege im Nahen Osten in den Blick. Israel-Palästina lasse sich nicht „als verwirrender ethischer Konflikt zwischen zwei unversöhnlichen semitischen Zwillingen abtun“, schreibt Klein. Vielmehr sei es „das bisher letzte Kapitel (…) einer Welt, die jetzt in Flammen steht“. Und Naomi Klein schlägt einen großen Bogen durch die unheilvolle Geschichte der Menschheit. In diese Geschichte sind wir alle verstrickt, wo auch immer wir leben. Sie begann im Vorfeld der Inquisition mit Folterungen, Verbrennungen und der Vertreibung von Muslimen und Juden; setzte sich mit der blutigen Eroberung des amerikanischen Kontinents und der Plünderung Afrikas fort, wo man sich Reichtümer aneignen und menschlichen Treibstoff für die neuen Kolonien beschaffen konnte; verwüstete Asien im Zuge der Kolonialisierung und kehrte dann nach Europa zurück, wo Hitler die in den vorausgehenden Geschichtskapiteln entwickelten Methoden – wissenschaftlicher Rassismus, Konzentrationslager, Völkermord in den neuen Siedlungsgebieten – zu seiner Endlösung destillierte. Quelle: Naomi Klein – Doppelgänger Naomi Klein hat eine Selbstbefragung verfasst, die jeden Leser und jede Leserin zum Innehalten und Reflektieren der eigenen Person anregen kann. Ein sehr nachhaltiges Buch der Klimaaktivistin.…
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