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Patrick Modiano – Memory Lane | Buchkritik

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Leben heiße, beharrlich einer Erinnerung nachzuspüren, schrieb Patrick Modiano einmal. Das gilt auch für das Schreiben, zumal für das des französischen Nobelpreisträgers. Die Erinnerungen sind meist leicht vergilbt wie die Seiten eines alten Notizbuches, verblasst wie zu lange dem Licht ausgesetzte Fotografien. Und manchmal sogar ein wenig pathetisch wie das Lied “Memory Lane”, das Patrick Modiano zum Titel eines Buches gemacht hat. Der Refrain geht übersetzt ungefähr so:
Memory Lane / Nur einmal traben Pferde die Memory Lane hinunter, / die Spuren ihrer Hufe jedoch bleiben für immer …

Quelle: Patrick Modiano – Memory Lane

In diesen schlagerhaften Zeilen verbirgt sich das Geheimnis des Erinnerns und die Poetologie Modianos: Die Spuren von Begegnungen und Ereignissen mögen verwischen, aber da sind sie gleichwohl. Manchmal genügt eine unscheinbare Gefühlsregung, um das Verlangen zu wecken, ihnen nachzugehen, ihnen zurück in eine andere Zeit zu folgen, zurück in die Jugend. Das hat etwas Detektivisches, und auch wieder nicht. Denn bei Modiano werden keine Fälle gelöst. Im Gegenteil: Das Mysterium des Verschwundenen, der Toten oder eines längst nicht mehr existierenden Paris wird nur immer größer, niemals jedoch zu den Akten gelegt.

Der Nebel der Zeit

„Memory Lane“ also. Das Lied wird im Buch zur gemeinsamen Hymne einer Gruppe von mehr oder weniger zufällig zusammengewürfelten Menschen. Patrick Modianos Erzählung wurde 1979 geschrieben und kam 1981 erstmals zusammen mit realistischen schwarz-weiß Illustrationen des seinerzeit sehr bekannten Zeichners und Grafikers Pierre Le-Tan heraus. Die kongeniale Übersetzerin Elisabeth Edl hat sie nun das erste Mal ins Deutsche gebracht. Modianos Erzähler erinnert sich 15 Jahre nach einem intensiven Sommer an das „Grüppchen“, das sich um das mondäne, längst aber am Abgrund des Ruins stehende Paar Paul und Maddy Contour schart:
Paul Contour: sein Leichtsinn, aber auch sein Gesicht, das mir zerfurcht schien in der Sonne von Antibes. Maddy: sie hielt besser stand, dank ihrer schön geschwungenen Brauen, ihrer Augen, in denen Fjorde aufblitzten, und ihres Lächelns. Bourdon: er trug oft eine Seglermütze, hatte seine Pfeife im Mund, und es ging einem zu Herzen, dass er aussehen wollte wie ein Südseekapitän.

Quelle: Patrick Modiano – Memory Lane

Dazu kommt Bourdons Kindheitsfreund Winegrain mit seinem leeren Blick und dessen Freundin Françoise, schüchtern und ihrem Liebhaber hoffnungslos ergeben. Da ist der alte Antiquitätenhändler Claude Delval. Und der Amerikaner Doug „mit dem roten, pockennarbigen Gesicht“, immerzu „Memory Lane“ vor sich hin singend. Der Krieg ist noch nicht lange vorbei, das Leben muss in vollen Zügen genossen werden, aber es ist ein Vergnügen auf Kredit – hinter der Fassade entdeckt man eine Müdigkeit und Melancholie.

Das Alter nagt an den Figuren

Das Alter nagt an diesen Überlebenden und sich überlebt Habenden. Der Erzähler, jung und neugierig, ist unversehens in das Grüppchen hineingeraten, und er wird – wie auch Françoise – weiterziehen. Aber doch bleibt etwas aus dieser Zeit bewahrt, ein elegisches Sentiment, auch eine ungelebte Liebe zu Maddy. Erinnerung ist ohne Wehmut nicht zu haben.
Ich, der so oft bei den anderen das Älterwerden beobachtete, musste mich nun meinerseits an die Vorstellung gewöhnen, dass meine Jugend zu Ende ging.

Quelle: Patrick Modiano – Memory Lane

Mit welcher unaufdringlich simplen Eleganz und in welch schwebend-dämmriger Stimmung das erzählt wird, ist wie immer bei Patrick Modiano betörend und schmerzhaft zugleich. Je stärker das Vergangene sich in die Gegenwart schiebt, desto deutlicher spürbar wird die Vergänglichkeit. Pierre Le-Tans Zeichnungen sind realistische Illustrationen von Interieurs und vage bleibender Figuren, versehen mit Unterzeilen, die nicht dem Text entnommen sind, sondern ihn weiterführen. „Memory Lane“ ist zweifelsohne ein Nebenwerk Modianos, schmaler noch als seine üblicherweise schmalen Romane. Aber kondensiert ist auch hier das Besondere dieses Autors zu spüren.
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Memory Lane / Nur einmal traben Pferde die Memory Lane hinunter, / die Spuren ihrer Hufe jedoch bleiben für immer …

Quelle: Patrick Modiano – Memory Lane

In diesen schlagerhaften Zeilen verbirgt sich das Geheimnis des Erinnerns und die Poetologie Modianos: Die Spuren von Begegnungen und Ereignissen mögen verwischen, aber da sind sie gleichwohl. Manchmal genügt eine unscheinbare Gefühlsregung, um das Verlangen zu wecken, ihnen nachzugehen, ihnen zurück in eine andere Zeit zu folgen, zurück in die Jugend. Das hat etwas Detektivisches, und auch wieder nicht. Denn bei Modiano werden keine Fälle gelöst. Im Gegenteil: Das Mysterium des Verschwundenen, der Toten oder eines längst nicht mehr existierenden Paris wird nur immer größer, niemals jedoch zu den Akten gelegt.

Der Nebel der Zeit

„Memory Lane“ also. Das Lied wird im Buch zur gemeinsamen Hymne einer Gruppe von mehr oder weniger zufällig zusammengewürfelten Menschen. Patrick Modianos Erzählung wurde 1979 geschrieben und kam 1981 erstmals zusammen mit realistischen schwarz-weiß Illustrationen des seinerzeit sehr bekannten Zeichners und Grafikers Pierre Le-Tan heraus. Die kongeniale Übersetzerin Elisabeth Edl hat sie nun das erste Mal ins Deutsche gebracht. Modianos Erzähler erinnert sich 15 Jahre nach einem intensiven Sommer an das „Grüppchen“, das sich um das mondäne, längst aber am Abgrund des Ruins stehende Paar Paul und Maddy Contour schart:
Paul Contour: sein Leichtsinn, aber auch sein Gesicht, das mir zerfurcht schien in der Sonne von Antibes. Maddy: sie hielt besser stand, dank ihrer schön geschwungenen Brauen, ihrer Augen, in denen Fjorde aufblitzten, und ihres Lächelns. Bourdon: er trug oft eine Seglermütze, hatte seine Pfeife im Mund, und es ging einem zu Herzen, dass er aussehen wollte wie ein Südseekapitän.

Quelle: Patrick Modiano – Memory Lane

Dazu kommt Bourdons Kindheitsfreund Winegrain mit seinem leeren Blick und dessen Freundin Françoise, schüchtern und ihrem Liebhaber hoffnungslos ergeben. Da ist der alte Antiquitätenhändler Claude Delval. Und der Amerikaner Doug „mit dem roten, pockennarbigen Gesicht“, immerzu „Memory Lane“ vor sich hin singend. Der Krieg ist noch nicht lange vorbei, das Leben muss in vollen Zügen genossen werden, aber es ist ein Vergnügen auf Kredit – hinter der Fassade entdeckt man eine Müdigkeit und Melancholie.

Das Alter nagt an den Figuren

Das Alter nagt an diesen Überlebenden und sich überlebt Habenden. Der Erzähler, jung und neugierig, ist unversehens in das Grüppchen hineingeraten, und er wird – wie auch Françoise – weiterziehen. Aber doch bleibt etwas aus dieser Zeit bewahrt, ein elegisches Sentiment, auch eine ungelebte Liebe zu Maddy. Erinnerung ist ohne Wehmut nicht zu haben.
Ich, der so oft bei den anderen das Älterwerden beobachtete, musste mich nun meinerseits an die Vorstellung gewöhnen, dass meine Jugend zu Ende ging.

Quelle: Patrick Modiano – Memory Lane

Mit welcher unaufdringlich simplen Eleganz und in welch schwebend-dämmriger Stimmung das erzählt wird, ist wie immer bei Patrick Modiano betörend und schmerzhaft zugleich. Je stärker das Vergangene sich in die Gegenwart schiebt, desto deutlicher spürbar wird die Vergänglichkeit. Pierre Le-Tans Zeichnungen sind realistische Illustrationen von Interieurs und vage bleibender Figuren, versehen mit Unterzeilen, die nicht dem Text entnommen sind, sondern ihn weiterführen. „Memory Lane“ ist zweifelsohne ein Nebenwerk Modianos, schmaler noch als seine üblicherweise schmalen Romane. Aber kondensiert ist auch hier das Besondere dieses Autors zu spüren.
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